Nelson Mandelas Trauerfeier: Impressionen aus dem Stadion

stadion nelson mandela

„Wenn es bei wichtigen Anlässen regnet ist das ein gutes Zeichen für die Zukunft, sagt man in unserer Kultur“, erzählt ein Mann neben mir. Die Passagiere stehen derart dicht gedrängt im überfüllten Zug, dass man sich noch nicht einmal festhalten muss. „Menschen die vom Land leben, mögen Regen. Sie sagen, dass es bei der Gedenkfeier für einen Helden regnen muss.“ Lächelnd fügt er hinzu „Ich glaube allerdings nicht an diesen Aberglauben.“

Es regnet so stark in Johannesburg, dass der Zug zum Stadion, wo die Gedenkfeier für die verstorbenen Nelson Mandela stattfinden soll, mehrere Male stecken bleibt. Dies tut der Stimmung jedoch keinen Abbruch. Es ist fünf Uhr morgens und die Menschen sind hellwach. Die Kabinen vibrierten von Liedern der Befreiungsbewegung und Fußstampfen. Trauer drückt sich in mit Nostalgie schwerer Begeisterung und Freude aus: Tausende kommen um ihren geliebten „Tata Madiba“, Vater der Nation, zu feiern.

Von Buh-Rufen und innerparteiliche Querelen überschattet

Wir sind um Stunden zu früh im Stadion. Die Ränge füllen sich jedoch rasch und endlich gibt es Platz zum Tanzen. Auch hier vergeht die Zeit wie im Flug. Ein Lied erzählt von der „Release Mandela Campaign“ in den 1980er Jahren und Helden des Befreiungskampfes wie Oliver Tambo, der den African National Congress (ANC) im Exil vertrat: „Oliver Tambo, speak to Botha so that he releases Mandela!“ Ein anderes beschwört die Wahl Mandelas im Jahr 1994 „My black president!“. Einige der Lieder feiern auch die Militanz des jungen Mandela. Mandela lehnte zwar Gewalt nur um der Gewalt  Willen ab, setzte sich aber innerhalb des ANC aktiv für den bewaffneten Befreiungskampf ein.  „Es nervt mich, dass Mandela international nahezu als Santa-Claus Figur stilisiert wird“ sagt ein junger Mann im roten Outfit der kommunistischen Partei. „Es ist noch nicht so lange her, dass einige der Länder, die jetzt ihre Repräsentanten schicken um Mandela in den Himmel zu loben, ihn als gefährlichen Terroristen einstuften. Insbesondere im Kalten Krieg, als man meinte das Apartheid –System als Bollwerk gegen den Kommunismus stärken zu müssen.“

Das Publikum jubelt beim Anblick von Winnie Mandela, Ban Ki-moon, und Prominenten wie Bono und Charlize Theron. Selbst F.W. de Klerk wird klatschend begrüßt, wenn auch eher höflich. Die Volksfeier kippt jedoch plötzlich beim Eintreffen der ANC-Elite. Die Menge schreit betont vor Begeisterung als der ehemalige südafrikanische Präsident Thabo Mbeki auf dem Bildschirm zu sehen ist. Als die Kamera auf den jetzigen Präsidenten Jacob Zuma schwenkt, ist jedoch lautes Buhen zu hören. Die Buh-Rufer machen ein rollendes Handzeichen wie beim Fußball: „Auswechseln!“. Zuma und Cyril Ramaphosa, Gastgeber der Veranstaltung und Vizepräsident des ANC sind sichtlich schockiert.

Meine Sitznachbarin ist peinlich berührt „Es ist das erste Mal, dass Zuma so etwas passiert. Und das vor den Staatsoberhäuptern und Würdenträgern der Welt. Wie tief sind wir gesunken!“ Das Buhen reißt  nicht ab. Jedes Mal wenn Zuma erscheint, gibt das Publikum seinem Unmut lautstark Ausdruck. Sie springt auf und appelliert vergeblich an die Buh-Rufer: „Hört auf, aus Respekt für Tata Madiba!“.  „Die Leute haben die Nase voll von Korruption“ sagt sie und lässt sich frustriert wieder in ihren Sitz fallen. „Siehst Du wer die Buh-Rufer sind? Sie sind nicht die Gegner vom ANC, sondern ANC-Wähler. Sie wollen keine teuren Straßennutzungsgebühren  und sie wollen nicht, dass Millionen aus der Staatskasse in Zumas Privatresidenz gesteckt werden. Dafür haben wir nicht den ANC gewählt. Mandela hätte all das nie zugelassen.“

Welche Partei sie in 2014 anstelle des ANC wählen würde, frage ich sie. Sie sei im Exil aufgewachsen, weil ihre Eltern im ANC aktiv waren. Sie bleibe der Partei treu. Dann zeigt sie auf ihre zwei Töchter  im Teenagealter „Aber die“, sagt sie, „denen ist der ANC und die Befreiung egal. Sie wollen Jobs und ein gutes Leben, und wer nicht liefert, den wählen sie nicht. Wenn Zuma bleibt, werden sie die Economic Freedom Fighters wählen“. Die Economic Freedom Fighters, eine neue Oppositionspartei, wurde von dem ehemaligen Anführer der ANC- Jugendliga Julius Malema  nach seinem Parteiausschluss gegründet. Trotz eigener Korruptionsskandale und Vorwürfe der Steuerhinterziehung, kommt der kontroverse Populist durch seine radikalen Forderungen, etwa nach einer  Landumverteilung ohne Kompensation und der Nationalisierung von Bergbauunternehmen, insbesondere bei der enttäuschten Jugend und anderen wirtschaftlich ausgegrenzten Bevölkerungsteilen gut an.

„Mandela hat nie viel auf Promis gegeben“

Eine Rede folgt der anderen. Obama kann durch seine übliche Eloquenz das Publikum noch mitreißen, danach erschöpft sich aber die Geduld für die Würdenträger. Mit Ansprachen der Staatsoberhäupter von Brasilien, Indien und China ähnelt die Veranstaltung zunehmend einem BRICS-Gipfel. Immer wieder werden sie durch lautes Singen unterbrochen. Schließlich seien sie gekommen um zu feiern, kommentiert meine Nachbarin, das strikte Programm ließe dafür aber keinen Platz. „Mandela hat nie viel auf Promis gegeben. Er hat sich für uns interessiert, die normalen Leute“. Da das Buhen nicht nachlässt sobald Zuma eingeblendet wird, bemüht Ramaphosa schließlich Worte in Zulu: „Okunye sizokubona mahambile!” (Wir kümmern uns um unsere Probleme, sobald unsere Gäste weg sind!). Es gelingt ihm immerhin das Publikum so zu besänftigen, dass es die abschließende Rede des Präsidenten nicht unterbricht. Der sonst kampfbereite Zuma, der die Massen begeistert und gern bei Gelegenheit Befreiungslieder anstimmt, starrt diesmal bewegungslos in seine Papiere. Desmond Tutu soll die letzte Segnung geben, fordert in seiner exzentrischen Art jedoch zunächst  Respekt ein. „Solange ich nicht eine Stecknadel fallen höre kriegt Ihr meinen Segen nicht!“.  „Können wir der Welt zeigen dass wir diszipliniert sind?“, fragt er.

Die Feierlichkeiten enden wie sie begonnen haben: im Regen. Die Stimmung ist jedoch hinüber. Ein etwas älterer ANC-Anhänger bleibt noch etwas sitzen und schüttelt den Kopf.  Er ist der Meinung, dass vor allem innerparteiliche Rangeleien und die ANC Kader der Gauteng-Provinz für die Bloßstellung Zumas verantwortlich sind. Die Partei in Gauteng war gegen die Kandidatur Zumas. Er hofft, dass der ANC die heutige Schmach als den nötigen Aufweckruf wahrnimmt, die Führungsriege zu erneuern. Die Zeit sei reif für einen Wandel.

„Nur schade für Tata Madiba“, fügt er hinzu. „Der alte Mann hat wirklich einen würdevolleren Abschied verdient.“